„Der Wein des Einsamen”, Charles Baudelaire (DE)

Der sonderbare blick der leichten frauen
Der auf uns gleitet wie das weisse licht
Des mondes auf bewegter wasserschicht
Will er im bade seine schönheit schauen

Der letzte thaler an dem spielertisch
Ein frecher kuss der hageren Adeline
Erschlaffenden gesang der violine
Der wie der menschheit fernes qualgezisch-

Mehr als dies alles schätze ich tiefe flasche
Den starken balsam den ich aus dir nasche
Und der des frommen dichters müdheit bannt.

Du giebst ihm hoffnung liebe jugendkraft
Und stolz dies erbteil aller bettlerschaft
Der uns zu helden macht und gottverwandt.



———
Der titelgebende Einsame steht für den Dichter selbst, der sich wie der Bettler zu den Ausgestoßenen, den Mittellosen, den Randfiguren der Gesellschaft zählt. Was ihn zu locken vermag, sind nicht die soliden Freuden von Sicherheit und Dauer, von Karriereehrgeiz und Familienglück. Ihn stimmulieren allenfalls noch flüchtige Reize, die wie der Auftritt lasziver Schönheiten und das Schwelgen in der Musik zum lyrischen Inventar dieser Gedichte und zu den artifiziellen Paradiesen ihres Verfassers gehören. ... Und nur große Dichter, Philosophen und Propheten, so endet sein Essay “Wein und Haschisch”, seien in der Lage, den Zustand poetischer Glückseligkeit kraft ihres Willens und ohne künstlichen Hilfsmittel zu erreichen.
Allen anderen bleibt der Wein. Wer nur Wasser trinkt, sei Dummkopf oder ein Heuchler und habe vor seinen Mitmenschen etwas zu verbergen. Denn der Wein, glaubte Baudelaire, bringt nur das zutage, was ohnehin in einem steckt: “Schlechte Menschen werden unausstehlich, gute Menschen werden unübertrefflich.”
- Matthias Weichelt, Frankfurter Anthologie-

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen